
Joseph Gabriel Rheinberger ist in der Musikgeschichte lange vornehmlich als Lehrer gewürdigt worden, zumal seine Kompositionen nach seinem Tod 1901 nahezu vergessen schienen. Dabei war der in München als Hofkapellmeister Ludwigs II. wirkende Musiker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Größe von europäischem Rang gewesen. In jüngerer Zeit haben vor allem seine Orgelwerke und die Weihnachtskantate „Der Stern von Bethlehem“ wieder Interesse gefunden, dank der editorischen Unternehmungen des Carus-Verlags auch die Kammermusik sowie die Klavier- und Orchesterwerke. Immer schon beliebt war das berühmte Abendlied „Bleib bei uns“, Rheinbergers bereits zu Lebzeiten bekanntestes Chorstück. Diese sechsstimmige A-cappella-Motette aus den „Drei geistlichen Gesängen“ op. 69 bildete dann auch den Schluss- und Höhepunkt des Recitals des Cantus Stuttgart, geleitet von Jörg-Hannes Hahn.
Der Abend war Rheinbergers geistlicher Chormusik gewidmet. In sich vielfältig war die Auswahl der Kompositionen: klassizistisch-ausgeglichen die „Missa sanctissimae trinitatis“ op. 117, dramatisch-opernhaft die „Fünf Motetten“ op. 40, religiös-verklärt die „Drei lateinischen Hymnen“ op. 96 für reinen Frauenchor mit Orgelbegleitung.
Die kurzfristig eingesprungene Organistin Mariia Tscherepanova trug zwischen den Chorstücken Mendelssohns sechste Orgelsonate vor, ein passendes Bindeglied, war doch Rheinberger zu seinen Orgelsonaten seinerzeit durch diejenigen von Mendelssohn angeregt worden.
Der Cantus Stuttgart, mit dreißig Sängerinnen und Sängern nicht mehr wirklich in Kammerbesetzung, überzeugte durch einen schönen, ausgewogenen Gesamtklang. Männer- und Frauen-, hohe und tiefe Stimmen waren gut ausbalanciert, und zwar sowohl im Miteinander der akkordischen wie im Gegeneinander der polyphonen Passagen. Hahn gab zügige Tempi vor und forderte eine meist kraftvolle Dynamik. Dass sein Chor aber auch im Piano sehr schön klingen kann, bewiesen die lang zelebrierten Schlussakkorde. Insgesamt könnte mehr Vertrauen in leise, ruhige Passagen für noch mehr Binnenspannung sorgen.
Die Textvorlagen hat Hahn gezielt ausgedeutet, sprachliche Details musikalisch hervorgehoben, ohne dass dadurch der Charakter des jeweiligen Satzes zerfasert wäre. Der Chor hat die teils kniffligen Modulationen überzeugend gemeistert, hat klar und präzise zusammen phrasiert, gesprochen, gestaltet. Chorgesang – das hat dieser Konzertabend wieder einmal belegt – dürfte das einzige musikalische Genre sein, in dem auch Laien stellenweise an die Qualität eines professionellen Ensembles heranreichen können.
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