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Eine Schule des Hörens


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Orgelimprovisationen verbinden Striggio und Altnickol in der Stadtkirche

Der Kammerchor Cantus Stuttgart nimmt den Hörer in die Mitte, Foto: Roberto Bulgrin

Alessandro Striggio der Ältere war der bestbezahlte Musiker am Hof des Renaissancefürsten Cosimo I. von Medici. Im Dom von Florenz soll seine Motette „Ecce beatam lucem“ zum ersten Mal aufgeführt worden sein. Ein Werk für vierzig individuell geführte Stimmen, das später auch Thomas Tallis zu seiner ebenfalls vierzigstimmigen Komposition „Spem in alium“ angeregt haben soll. Verkleidet und auf Wolkenwagen schwebend, gaben die vierzig Musiker 1561 ohne Frage ein optisch wie akustisch eindrucksvolles Spektakel.

Die Darbietung durch Bachchor und Cantus Stuttgart in der Cannstatter Stadtkirche verzichtete auf Wolkenwagen, nicht aber auf wirkungsvollen Raumklang. Nach dem Motto „Chor Surround“ umstanden die vierzig Sängerinnen und Sänger das Publikum von allen Seiten des Kirchenschiffs. Der sichtliche Koordinationsaufwand des wie ein Schutzmann agierenden Dirigenten Jörg-Hannes Hahn war allerdings größer als das klangliche Ergebnis, vielleicht verhinderte auch die insistierend begleitende Orgel, dass die Stimmen wirklich anfangen konnten zu schweben.

Dies gelang aber dann in der Motette „Befiehl du deine Wege“ des Bachschülers und -schwiegersohns Johann Christoph Altnickol, in üblicher Choraufstellung vorgetragen vom bestens disponierten Cantus Stuttgart. Die zwölf Strophen mit dem aus Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion bekannten Cantus firmus waren überraschend abwechslungsreich in ihrer Struktur, Harmonik und Besetzung. Verbunden wurden sie durch Orgelimprovisationen des Erfurter Domorganisten und -kantors Silvius von Kessel. Er verstand seine Überleitungen zwischen den einzelnen Strophen wie auch zwischen den beiden Werken des Abends als „Gegenüber“ der Musik von Altnickol und Striggio, wie er im einleitenden Gespräch mit Dagmar Munck sagte. Die Motive der Komponisten aufgreifend und ins Impressionistische ausweitend, verbanden seine „Promenaden“ die notierten Kompositionen wie Perlen auf einer Schnur.

Abschließend wurde Striggios Himmelsvision, die auf die Worte „in paradisum“ endet, noch einmal vollständig wiederholt, wieder im Surround-Klang, diesmal aber von der Höhe der Empore herab. Eine wahrhafte Schule des Hörens war das, eine Schule klügster Konzertdramaturgie nicht minder.