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Morsezeichen ins Jenseits


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Motetten von Johann Sebastian Bach im Dialog mit „Zeichen“ von Dominik Susteck in der Stadtkirche

Der Kammerchor Cantus Stuttgart, Foto: Roberto Bulgrin

Als Johann Sebastian Bach seine Motetten schrieb, griff er damit auf eine alte, im Grunde veraltete Form zurück, die bereits im 17. Jahrhundert ihre Hochzeit gehabt hatte. Doch gerade dies mag den Leipziger Musikdirektor gereizt haben. Sieben Motetten sind von Bach überliefert, der diese Form noch einmal zu einem Höhepunkt klanglicher und satztechnischer Kunst führte; entsprechend groß sind auch die sängerischen Anforderungen.

Drei der doppelchörigen Motetten hat Jörg-Hannes Hahn für das Konzert seines Kammerchors Cantus Stuttgart ausgesucht, der die Komplexität und Virtuosität der Kompositionen in der Stadtkirche wie leichthin gemeistert hat. Durch deutliche Betonung der Taktschwerpunkte – etwa in „Komm, Jesu, Komm“ – erhielten die Koloraturen klare Konturen, geriet die barocke Vorfreude auf das Jenseits tänzerisch und federnd. Dynamische Binnendifferenzierung und kräftige Mittelstimmen machten den Vortrag lebendig, in den Choralteilen – beispielsweise im Abschluss von „Der Geist hilft unser Schwachheit auf“ – war die eindringliche musikalische Nachformung der textlichen Aussage zu erleben. Schön herausgearbeitet wurde der auf die venezianische Mehrchörigkeit zurückgreifende Dialog zwischen den beiden Chören, besonders im tropierten Choral von „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Bei direkter Stimmenimitation war die Lautstärke der zwei Chöre allerdings nicht ganz ausgewogen.

Das Prinzip der Doppelchörigkeit mag als konzeptuelle Klammer des Konzerts gelten. Denn mit den Motetten verzahnt wurde ein Orgelwerk von Dominik Susteck, das ebenfalls mit den Elementen Ruf, Echo und Dialog arbeitet. Susteck ist Organist der Kölner Kunst-Station Sankt Peter, vor wenigen Wochen erst wurde er mit dem Schneider-Schott-Musikpreis der Stadt Mainz ausgezeichnet. In den Bach-Motetten übernahm er zusammen mit Gottfried Gienger am Violone den Continuo-Part, dazwischen spielte er vier Sätze aus seinem 2016 entstandenen Stück „Zeichen“ für Orgel solo.

Mit „Morse“ ist der erste Satz überschrieben. Die Zungenstimmen bringen im Rhythmus eines Morsezeichens das Wort „Effata – Öffne dich“, mit dem Jesus einem Tauben die Ohren öffnete. Ein reiches, ungewöhnliches Klangspektrum entfaltete die Komposition, die immer wieder Ruf- und Signaltöne, Frage- und Antwortstrukturen einsetzte, Dialoge zwischen Einzeltönen und Clustern, zwischen Haupt- und Schwellwerk, zwischen dem Spiel und dem Pfeifen des Organisten. Alle Sätze endeten indes mit einem einzelnen, einsamen Ton, wie mit einer Frage, die unbeantwortet bleibt. Während der Thomaskantor noch voller Zuversicht dem Jenseits entgegenjubeln konnte, scheint heute nicht mehr sicher zu sein, ob unser Rufen ein Echo oder eine Antwort findet.