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Orgelspielen ist so notwendig wie Zähneputzen


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Ursula Philippi bei „Sommer! Orgel!“ in der Stadtkirche Bad Cannstatt

Die Organistin Ursula Philippi kommt nach Bad Cannstatt

„In meinem Dorf sitze ich fast jeden Tag an der Orgel“, erzählt Ursula Philippi, die am 8. September um 20 Uhr den sommerlichen Orgelzyklus in der Stadtkirche Bad Cannstatt mit einem inhaltsreichen Konzertprogramm zu Ende führen wird. Nach einer barocken Toccata von Buxtehude und einer Passsacaglia von Johann Caspar Kerll spielt sie Werke von Max Reger und Hans Peter Türk. In ihrer Heimat im rumänischen Sibiu, dem früheren Hermannstadt, war sie von 1985 bis 2014 Kantorin an der größten Orgel Siebenbürgens, einem spätromantischen Werk des sächsischen Orgelbaumeisters Wilhelm Sauer mit 80 Registern auf vier Manualen. Seit der politischen Wende im Jahre 1990 betreute sie als Dozentin die wieder eingerichtete Orgelklasse an der Musikhochschule in Cluj / Klausenburg, seit 2007 war sie Professorin. Nach all diesen Tätigkeiten glaubte sie vor einigen Jahren, sie könne nun mit dem Orgelspielen aufhören. Doch es ging nicht: „Für mich ist Orgelspielen so notwendig wie das Zähneputzen!“ bekennt Ursula Philippi, die schon während ihres Studiums an der Staatlichen Musikhochschule in Bukarest beim Orgelwettbewerb „Anton Bruckner“ in Linz 1978 als Finalistin ausgezeichnet wurde und 1979 den Internationalen Orgelwettbewerb Prager Frühling gewann.

„Auf einem kleinen Umweg“ ist sie, die schon als Gymnasiastin für Musik begeistert war und im Kirchenchor ihrer Heimatstadt Brasov / Kronstadt sang, zum Orgelspiel gekommen: Ihr Klavierlehrer war auch Organist und weckte ihr Interesse für die „Königin der Instrumente“. Mit 18 Jahren begann sie an der Bukarester Musikhochschule zu studieren, war dann die allerletzte Absolventin, die im Fach Orgel ein Examen ablegen konnte, bevor im Rumänien der kommunistischen Ceausescu-Diktatur der Studiengang abgeschafft wurde. Die Situation der Kirchen damals, erinnert sich Ursula Philippi, war jedoch nicht so schlimm wie in der DDR: „Man wurde nicht verfolgt, wenn man in der Kirche aktiv war, doch bei Lehrern und Lehrerinnen war es freilich nicht gern gesehen. Aber der normale Mensch konnte seinen Glauben praktizieren, und ich bin ja auch gleich in einen kirchlichen Dienst eingetreten.“

Ein wichtiges Engagement Ursula Philippis gilt der Rettung und Restaurierung von Orgeln in Transsilvanien / Siebenbürgen. Auch die Sauer-Orgel in der Evangelischen Stadtpfarrkirche in Sibiu / Hermannstadt, die 1916 von Karl Straube eingeweiht wurde, ist dank ihrer Initiative restauriert worden. Zur Orgellandschaft im heutigen Siebenbürgen meint sie: „Es gibt sowohl sehr schöne Entwicklungen, viele Instrumente in den Städten und sogar in einigen Dörfern können restauriert werden. Aber es sind zu viele Orgeln für die wenigen Gemeindemitglieder, die nach der fluchtartigen Abwanderung vieler deutschsprachiger Rumänen nach 1990 noch übrig sind. Zurzeit herrscht eine gewisse Stabilität innerhalb der deutschen Minderheit, aber wir sind zu wenige, um das große kirchliche Erbe zu bewahren.“ Es wird auch viel aus Kirchen gestohlen, wie zum Beispiel erst vor einigen Wochen ein ganzer Orgelprospekt aus der frisch restaurierten Johannes-Hahn-Orgel in Stolzenburg, eine der schönsten Barockinstrumente in der Umgebung von Hermannstadt. Offenbar gilt das Material Zinn dabei als wertvoller Werkstoff, zu dem die Orgelpfeifen eingeschmolzen werden.

Auf Konzertreisen ist die 1955 geborene Ursula Philippi in Japan, Russland und vielen europäischen Ländern unterwegs, in den letzten Jahren war sie auch als Jury-Mitglied bei Orgelwettbewerben in Deutschland und Italien beschäftigt. Für ihr Doppelalbum „Orgellandschaft Siebenbürgens“ erhielt sie 1993 den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, ein Schwerpunkt ihres Repertoires ist neben Werken der deutschen Orgelromantik die Musik ihrer Heimat von der Renaissance bis zur Gegenwart. Bei ihrem Konzert in der Stadtkirche Bad Cannstatt spielt die Organistin auch eine „Pastorale“ des George Enescu - Preisträgers Hans Peter Türk: „Er ist einer der Rumäniendeutschen Komponisten, der sich der Kirchenmusik zugewandt hat und auch versucht, zeitgenössische Elemente einzubeziehen“, sagt Ursula Philippi. „Der Titel ist nicht weihnachtlich zu verstehen, sondern eher wie bei Beethoven: Musik vom Lande. Das Stück hat er mir gewidmet zum Abschied von der Musikhochschule in Clausenburg, wo er auch ein Kollege von mir war. Es hat melancholische und dramatische Seiten.“