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Unprätentiös, virtuos und klug


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Jörg Halubek beim ersten Konzert der kompletten „Clavier-Übung“ in der Stadtkirche

Jörg Halubek, Foto: Christoph Kalscheuer

Vielleicht vermittelt ja der Begriff „Clavier-Übung“, den Johann Sebastian Bach seiner vierteiligen Riesensammlung für Tasteninstrumente gab, heute die Vorstellung von Ödnis, Drill und Einzelhaft am Klavier. Jedenfalls fanden am 10. Mai nicht viele Besucher den Weg in die Stadtkirche Bad Cannstatt zum Auftakt der vierteiligen Konzertreihe von „Musik am 13.“. Dabei ging es Bach in den Jahren zwischen 1726 und 1741, in denen er die einzelnen Teile schrieb, vor allem um die „Gemüths-Ergötzung“, also die geistreiche Unterhaltung interessierter Musikliebhaberinnen und -liebhaber.

Bürgerliches Musizieren war in Mode gekommen, und die vielen Nicht-Profis, die das Cembalo, Clavichord und Spinett oder die Orgel für sich entdeckt hatten, erwiesen sich als ehrgeizig. Ihnen lieferte Bach im Lauf der Jahre eine geradezu mustergültige Sammlung von stilistischen Strömungen und Gattungen der Zeit: die Partiten – wie die Suite eine Folge von Tanzsätzen –, ein Konzert im italienischen und eine Ouvertüre im französischen Stil, die „Orgelmesse“ mit der Bearbeitung von Chorälen und Kirchenliedern und schließlich die „Goldberg-Variationen“.

Als Interpreten dieser kompletten Sammlung bei „Musik am 13.“ sind hochkarätige Spezialisten in der Stadtkirche zu Gast, so erhält die Reihe den Charakter eines kleinen Festivals. Am Eröffnungsabend stellte Jörg Halubek, Professor für Orgel und historische Tasteninstrumente an der Stuttgarter Musikhochschule, drei der sechs Partiten und die Französische Ouvertüre h-Moll vor: eine erlesene Sammlung von Suitenformen, in denen Bach die überlieferte Folge von Tanzsätzen – Allemande, Courante, Sarabande, Gigue – immer wieder variiert: Es kommen Tänze wie Gavotte oder Bourrée hinzu, andere Satzformen wie Scherzo oder Capriccio, eine Fantasia oder Sinfonia als Einleitung.

Völlig unprätentiös, fast beiläufig spielte Jörg Halubek das virtuose Programm am zweimanualigen Cembalo, zum Glück ohne Pause. So entfalteten sich die ungeheure Spannung und der hinreißende Ideenreichtum in Bachs Spiel mit dem Geist seiner Zeit. Halubek nahm sich agogische Freiheiten, artikulierte deutlich im Stimmengeflecht und schuf mit der prononcierten tieferen Lage klangliche Plastizität. Gleichzeitig beleuchtete seine kluge Anordnung der Partiten, dass Bach mit seiner „Clavier-Übung“ neue Standards setzte: Der c-Moll-Partita BWV 826 von 1727 mit ihren geradezu idealtypisch gezeichneten Tanzcharakteren folgte als Abschluss die drei Jahre später entstandene Partita e-Moll BWV 830 mit ihrer klaren Tendenz zum Konzertstück. Hier geht es nicht mehr ums Tanzen, das ist Musik über Musik, eine Art kompositorisches Statement zur Suite. Ein exquisiter Abend.