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Wir veröffentlichen Pressestimmen zu den Veranstaltungen der Reihe Musik am 13. mit freundlicher Genehmigung der genannten Medien.

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Das leiseste Instrument der Welt


| Martin Mezger

Ein Trompetenstück und zwei Klavierwerke von Mark Andre in der Cannstatter Reihe „Musik am 13.“

Der Komponist Mark Andre hat bis 1999 gerechnet, danach hat er geatmet – als Kompositionsmethode, versteht sich. Sein Klavierstück „Contrapunctus“ von 1998/99 sei sein letztes Opus, in dem einzelne Parameter „mit Hilfe von Algorithmen“ (mathematischen Prozessen) generiert wurden“, schreibt Martina Seeber im Programmheft zum Andre gewidmeten Porträtkonzert der Reihe „Musik am 13.“ in der Cannstatter Stadtkirche – ein akustisches hors d‘oeuvre zur Uraufführung von Andres „Wunderzaichen“ am 2. März im Stuttgarter Opernhaus. Seit jener Zäsur versucht der 1964 in Paris geborene zeitweilige Schüler Helmut Lachenmanns, die Kompositionsgestalt aus dem „Atem des Materials“ (so Andre selbst) zu entwickeln. Soll heißen: musikalische Organismen entstehen in möglichst stringenter, aber nicht mehr mathematisch kalkulierter Logik aus der Klangbeschaffenheit, ihren immanenten Impulsen, ihrem Gestus – spirituelle Tiefenlotung inklusive.

Dem geneigten Gehör erscheint der Unterschied der Werktypen simpler: das Atmen hört man, das Rechnen nicht. Überlagerungen komplexer Proportionsreihen – wie im Klavierstück „Un-fini III“ von 1993/95 – sind als solche nicht wahrnehmbar; und in exakter Notationstreue auch nicht spielbar. Es geht um Annäherungen und Grenzgänge, welche das Wortspiel von Endlichem (un fini) und Unendlichem (unfini) meinen mag. Utopisches also meldet sich zu Klang und wird doch – tremolierend und tirillierend, in üppigen Registern schwelgend, in Kaskaden auf- und abstürzend – zurückdatiert auf die Genealogie entgrenzender Klavierkünste seit Debussy. Selbst die Ausschwingvorgänge haben in diesem Stück, das mit einer ruhigen Klangprozession in tiefer Lage und finalen Pedalstößen in der Unendlichkeit der Stille endet, noch etwas Ausschweifendes.

Die Pianistin Tomoko Hemmi gab alles: Farbenreichtum, Attacke, virtuose Gestaltungskraft. Kein größerer Gegensatz ist denkbar als zum asketischen Trompetensolo „iv 6a“ von 2010, ein (im Wortsinn) „atmendes“ Stück also, dessen Titelkürzel die Zugehörigkeit zu Andres Werkreihe „introvertiert“ bedeutet. Dem gemäß erbrachte Trompeter Paul Hübner den Beweis, dass sein Instrument das leiseste der Welt ist: mit einer Folge gedämpfter Pianississimo-Töne, die nicht dem Blechrohr, sondern der Elektronik oder einer unbekannten Tonerzeuger-Spezies zu entstammen schienen, bisweilen durch dämpfer-Vibrati oder Lippentriller sacht onduliert. Das läuft sich aus in Tonschatten, Atemstrom und sanftem Schnarchen, streckt sich à la Messiaen nach Spirituellem (der „Präsenz und Kraft von Jesus“), balanciert wie alle Mystik auf der Kante zwischen Transzendenz und Bluff, ewigem Innerlichkeitslicht und trübe ins Seelendunkel funzelnder Taschenlampe.

Das spirituelle Wort ergriff Franziska Links Anselm-Grün-Lesung, die mystische Leere in der Mitte des Klangraums umzingelte Tomoko Hemmi mit den Extremregistern des „Contrapunctus“: gleißend im diskant, schwarz in der Tiefe, unendlich nuanciert vom Lauten ins Leise.