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Wir veröffentlichen Pressestimmen zu den Veranstaltungen der Reihe Musik am 13. mit freundlicher Genehmigung der genannten Medien.

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Dr. Ute Harbusch
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Die extremen Kontraste schlugen die Hörer in Bann


| Bernhard Fauser

Bach, Mozart und Rihm mit dem Bachchor Stuttgart und dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim

Schwer zu sagen, was auf die Zuhörer besonders nachhaltig gewirkt haben mag: der ohrenbetäubende Einsatz von vier großen Trommeln, verteilt im Münster an die vier Enden eines gedachten Kreuzes (eine vor dem Orchester, eine ganz hinten unter der Empore und je eine an den beiden Seitenportalen) oder die ersterbenden Flageoletttöne der ersten Geige in extremer Höhe und im extremen Pianissimo, mit denen das letzte Werk des Abends sich ins Unhörbare verflüchtigte. Drei Werke des bekanntesten deutschen Komponisten standen im Mittelpunkt. Den Preis des Festivals konnte Rihm wegen einer Erkrankung leider nicht persönlich aus den Händen von Oberbürgermeister Richard Arnold entgegennehmen (siehe untenstehenden Bericht). Natürlich hat Wolfgang Rihm die Musik nicht neu erfunden. Auch für ihn gilt das berühmte Zitat von Isaac Newton: „Wenn ich weiter sehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“ Diese Riesen waren für Rihm, so der Laudator Hans-Peter Jahn, Monteverdi und Beethoven, Mozart und Mahler. Bach nannte er nicht, doch gerade dieses Vorbild wurde besonders deutlich in Toccata, Fuge und Postludium für Orgel.

Eine schöne Symmetrie des ganzen Konzerts

Die barocke Form wird neu befüllt, Anklänge an die Tradition bleiben in Form und Inhalt (Aufbau des Fugenthemas) erkennbar, im Schlussteil stehen in massigen Blöcken „klassische“ Akkorde neben dissonanten. Dem Organisten Andreas Gräsle ist es zu danken, dass er das Werk ausgesprochen transparent interpretierte, Linien deutlich machte und die Zuhörer bei den Forte-Stellen nicht erdrückte. Ihm kam sicher zugute, dass ihm aus seiner Zeit als Organist der Augustinuskirche auch die Klais-Orgel im Münster bestens vertraut ist. Dadurch, dass das Orgelwerk in der Mitte des Programms positioniert war, bekam es nicht nur das verdiente Gewicht, sondern bewirkte auch eine schöne Symmetrie des gesamten Konzerts: zuvor Mozart, danach Bach und ganz am Anfang und am Schluss Werke von Wolfgang Rihm, so dass die Orgel Tradition und Moderne bündelte.

Nur etwa 15 Minuten dauert „Memoria“, gedacht als Teile eine Requiems. Stark verrätselte Texte von Nelly Sachs, die unter dem Eindruck des Holocaust entstanden und eng verwandt etwa mit der „Todesfuge“ von Paul Celan zu sein scheinen, bilden die Grundlage für die bedrückende Komposition. Großartig die Altistin Annette Markert, die den für dieses Werk notwendigen langen Atem hat und auch in der tiefen Lage gut mit der gerade für die tiefere Frauenstimme besonders heiklen Münsterakustik zurecht kam. Der Stuttgarter Bachchor und das sehr aufmerksame Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim leisteten sensibel Grundlage, Echo oder Gegenpart. Besonders innig der Mittelteil, in dem Chor und Solisten nur Vokale singen; großes Lob für Lukas Ewald, den Solisten der Gmünder St. Michael-Chorknaben, der sich mutig und mit schönem Knabensopran von der gewaltigen Kulisse um ihn herum nicht irritieren ließ. Geradezu apokalyptisch geriet der Übergang zum dritten Teil mit den erwähnten großen Trommeln; wenn bei Rihm die tiefen Lagen Verzweiflung und Grauen ausdrücken, so erreicht man hier den Abgrund mit den Trommeln, Basstuba, Kontrafagott und sieben Kontrabässen (!). Das Werk schließt mit einem langen a cappella gesungenen Ton - „Schlaf und Sterben sind eigenschaftslos“. Inhaltlich ganz logisch folgte auf die tiefste Verzweiflung nun im Kyrie d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart die flehentliche Bitte um Erbarmen. Was für ein Kontrast! Mozart und nach dem Orgelwerk Bach: Die Altmeister können auch ohne die Große Trommel tief berühren… Die Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ von Johann Sebastian Bach ist ein Bravourstück für die Sopranistin, der im ersten und letzten Teil eine brillante Solotrompete gegenüber bzw. zur Seite gestellt wird. Die Solistin Susanna Martin gefiel mit sehr jugendlichem Timbre und einer eleganten Höhe, wobei sie die Spitzentöne sehr vorsichtig anging. Flüssige Koloraturen überzeugten vor allem in den hohen Lagen, in den tieferen Bereichen wäre im Münster etwas mehr Volumen wünschenswert. Sehr aufmerksam und souverän übrigens die Continuo-Gruppe. Den effektvollen Schluss bildete mit „Maximum est Unum“ (1996) das Werk, in dem Wolfgang Rihm, der ja erst relativ spät zur geistlichen Musik fand, zum ersten Mal das Wort „Deus“ (Gott) vertonte. exte von Nicolaus Cusanus und Meister Eckhart zeugen von dem fast verzweifelt wirkenden Bemühen der Philosophen des ausgehenden Mittelalters, Worte für das Wirken und die Existenz Gottes zu finden. („Gott ist in der Weise Einer, dass er aktuell all das ist, was möglich ist...“) Ein schönes Detail, dass sich hier auch das  Motto des diesjährigen Festivals, wenn auch in der Negation, findet: Statt „In Raum und Zeit“ heißt es hier: „Lass Raum, lass Zeit!“ Danach wandert die Musik vom Chor zur Solistin, dann zu den Flöten auf der Empore und verebbt in leisen Orgeltönen.

Die stärksten Klangeffekte: „Maximum est Unum“

Das Werk wurde anlässlich seiner Uraufführung in der „Zeit“ als „oratorienhafter Gesang“ bezeichnet. Wie in „Memoria“ steht die Altistin im Mittelpunkt. Annette Markert wurde auch diesem Werk mit großer Stimme und überzeugender Gestaltung gerecht. Der Bachchor wurde nun durch den Südwestdeutschen Kammerchor Tübingen (Einstudierung Peter Lorenz) verstärkt, wodurch er dem großen Orchester standhalten konnte als es galt, etwa jeweils am Ende der lateinischen Textteile (bei „Abundantia“ = Überfluss und bei „Maximum“) größtmögliche Lautstärke zu entfalten. Hier waren denn auch die Kontraste am stärksten: im ersten Beispiel die totale Beruhigung durch die Solistin, fast a cappella im Pianissimo, im zweiten durch die Harfe mit ihren höchsten Tönen. Beeindruckende Klangeffekte entstehen auch durch Raum-Effekte: vier Soprane, vier Flöten und vier Trompeten befinden sich auf der Orgelempore, so dass auch hier Musik von allen Seiten her erklingt. Es war eine grandiose Leistung des Dirigenten, Kirchenmusikdirektor Jörg-Hannes Hahn, diesen Riesenapparat trotz räumlicher Distanz zusammenzuhalten: Mit klarer Gestik gab er viele Einsätze, kümmerte sich intensiv um den Chor, führte das Orchester und war so ein beeindruckend souveräner Vermittler zwischen dem Komponisten und den Ausführenden. Lange Zeit war Wolfgang Rihm umstritten, Kritiker (oder Neider) warfen ihm Eklektizismus vor, nannten ihn einen Neoromantiker. Inzwischen scheint seine Stellung unangefochten zu sein, Arno Lücker schrieb gar anlässlich des 60. Geburtstags des Komponisten in der Neuen Musikzeitung: „Erstens gibt es niemanden, der Kritik an Rihm öffentlich wagt, dazu ist Rihm zu mächtig. Zweitens ist Rihm nicht nur ein besonderer Künstler; er ist sogar der einzige große Künstler innerhalb der Neuen Musik.“ Ob das zutrifft? Das muss die Geschichte zeigen.